Jugendsünden in den Achtzigerjahren | Kirsten Wendt

07 Apr 2021  Kirsten  3 minuten lesezeit.

Jugendsünden in den Achtzigerjahren

80er im Retro-Kult, doch manches kommt nie wieder

Das war einmal, das kommt nie wieder. Viele Trends wiederholen sich im Laufe der Jahrzehnte, doch manche Dinge gehören so endgültig der Vergangenheit an wie Nenas Achselhaare – von den übersättigten Töchtern Madonnas und Michael Jacksons abgesehen.

Der zeitlose Ausruf “Wie peinlich!” beschreibt für jede Altersgruppe verständlich, welche Gefühle beim Betrachten alter Fotos mit Vokuhila-Frisuren und geschmackloser Kleidung in uns aufkeimen. Scham lösen nicht nur überbelichtete Aufnahmen aus, sondern auch einstige Verhaltensweisen und Gebräuche.

Sarah-Kay-Kissen und Spider Murphy Gang im typischen Kieferzimmer der 80er Jahre

Sarah-Kay-Kissen und Spider Murphy Gang im typischen Kieferzimmer der 80er Jahre

Was rückblickend kaum vorstellbar ist, war grausame Wahrheit: Es gab keine Handys. Stattdessen hatten Mädchen ein Hobby, das heute nicht mehr zelebriert wird. Telefonstreiche. Kicherorgien in Telefonzellen füllten unsere Nachmittage. Die angehimmelten Jungs aus der Oberstufe, selbst noch im Pickelalter, tappten im Dunkeln über die Identität der gackernden Anruferinnen. Wir standen stundenlang in gelben Glaskästen, in denen es stets nach kaltem Rauch und angegrabbelten dicken Telefonbüchern roch. Manchmal hatten wir Glück, und die Gespräche dauerten schier unendlich. Dann war der Zähler des Apparats defekt, und mit 20 Pfennig waren zeitlich unbegrenzte Telefonate möglich. Das Geheimnis lag darin, nur kurz die Hörergabel anzudrücken; tuuut … wurde mit denselben zwei Groschen ein neuer Anruf gestartet.

Es gab damals Popper, Punker, Ökos und Normale. Die Normalen nannten sich nicht so, sie waren in der Überzahl. Zu den Poppern gehörten nur die Glückspilze, deren Eltern in der Lage waren, Lacoste-Klamotten und Tennis-Unterricht zu finanzieren. Punker wurden erst später namentlich zu Punks und die heimlichen Stars. Was hingegen jeder erreichen konnte, war gepflegtes Ökotum. Betroffenheit war schwer angesagt, Demos gegen alles Mögliche besuchten die Schulen gleich kollektiv. Komplette Kinos wurden angemietet, um “The Day After” zu schauen und hinterher heulend Apfeltee zu trinken. Niemandem schmeckten die Tee-Sorten, aber gesammelt hat die stinkenden, bunten Dosen jeder.

Es sah spießiger in den Kiefer möblierten Jugendzimmern als in Opas Schrebergartenlaube aus. Im Regalfach unterm getöpferten Teeservice befanden sich leere Parfumflakons. Kein Mensch konnte sich die Düfte leisten, also bettelten wir unsere Verwandten um Probefläschchen an, damit es zumindest so aussah, als hätten wir die Flakons einst gefüllt erworben. Ach, es war alles ziemlich deprimierend, aber wir hatten immerhin die „Bravo“ und knutschten heimlich die Starschnitte an der Wand ab. Vervollständigt wurden die trüben Gedanken ob der drohenden atomaren Katastrophe mit Pierrot-Postern des traurigen Clowns und “Atomkraft? Nein danke!“-Buttons.

Poster und Starschnitte aus der Bravo waren ein Muss für jeden Teenager

Poster und Starschnitte aus der Bravo waren ein Muss für jeden Teenager

Wer behauptet, die Jugend von heute saufe mehr als die Teenies der Achtzigerjahre, ist nicht auf dem Dorf groß geworden. Komasaufen ist heute, früher war auf Feten Stiefeltrinken angesagt. Dieses stiefelförmige und vor allem große Glas fasste zwei Liter Bier und verleitete zu allerhand Trinkspielen. Pech für denjenigen, der nicht wusste, wie man die Stiefelspitze geneigt hält, ohne sich zu bekleckern.

Die Achtzigerjahre waren die angepasste Variante der 68er-Bewegung. „Ein bisschen Frieden“ von Nicole und Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ spiegeln den Zeitgeist der damaligen Epoche wider: Von allem ein bisschen, aber bloß nicht zu ausufernd. Den einen Abend heimlich zu kiffen und am anderen Tag bei Oma auf dem Sofa „Miami Vice“ zu schauen, war normal und keine Jugendsünde.

Multimedia in den Achtzigern: Auf dem Regal Schwarz-Weiß-Fernseher, darunter Plattenspieler und Kassettenrekorder nebst Monchhichi

Multimedia in den Achtzigern: Auf dem Regal Schwarz-Weiß-Fernseher, darunter Plattenspieler und Kassettenrekorder nebst Monchhichi

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